Von Nachhaltigkeit und Gegenwartsbewusstsein
Das Wort „Nachhaltigkeit“ aus dem Munde eines Investment-Bankers würde ich mit grossem Misstrauen entgegen nehmen… Als es von Rudolf Wötzel kam, war ich neugierig. Ich nahm an, dass dies etwas war, das in seinem „ersten Leben“ nicht ein primäres Thema war. Also: ich wollte wissen, was es für Ihn heute für eine Bedeutung hat.
Seine Antwort zeigte für mich eine ganz neue Facette von Nachhaltigkeit auf, die ich in dieser Weise noch nie betrachtet hatte und mich im Verlaufe des Gesprächs zu bereichernden neuen Gedanken anregte.
Nachhaltigkeit ist ja jetzt ein Riesen Modewort, aber es ist ein entscheidendes Thema. Wenn ich es philosophischer sehe, kann ich Nachhaltigkeit auch übersetzen, indem ich sage: “Ich lebe im Jetzt”.
Weil, wenn ich im Jetzt lebe, brauche ich nicht mehr eine Projektion eines anderen Lebens im Morgen, damit ich das Gefühl habe, hier ein sinnvolles Leben zu führen – so war das vorher. Da hatte ich immer das Konstrukt eines anderen Morgen gebraucht, um den “Shit”, den ich heute erlebe und mache, überhaupt vor mir rechtfertigen zu können.
Diese Lebenslüge brauche ich heute nicht mehr, weil ich sagen kann: “Ich bin im Einklang mit dem was ich mache. Ich finde es sogar gut, wenn ich es 10 Jahren auch noch mache” – das ist nachhaltig.
Was ich heute mache tu ich nicht, damit ich dann irgendwann etwas anderes machen kann. Ich mache es, weil das jetzt stimmt und so gut ist. Ich weiss nicht, wie lange ich es mache, aber es ist JETZT stimmig und es ist mir eigentlich egal, was ich in 5 Jahren mache. Und das ist für mich Nachhaltigkeit.
Ich glaube, wenn man in diesem Bewusstsein agiert, ergeben sich auch die anderen Themen von Nachhaltigkeit fast folgerichtig: Umweltnachhaltigkeit, Ressourcennachhaltigkeit und so weiter; weil man nicht diesen “Switch” – diesen Wechsel – zu einem besseren „morgen“ hin braucht in den Lebensmodellen, um zu rechtfertigen, was man heute macht.
Ich fragte, ob er sagen würde, dass er unmittelbarer lebt – viel mehr im Moment ist; er bejahte.
Wenn man mehr im Moment lebt, ist man weniger im Denken. Denken ist immer in der Vergangenheit, der Zukunft oder in Konzepten. Also wenn immer wir im Denken sind, sind wir nicht unmittelbar im Moment. Wenn wir unmittelbar im Moment sind, dann denken wir nicht…
Wenn wir im Moment sind, können wir „intuieren“ – “von innen heraus wissen“. Dann kommen die Impulse aus dem Bewusstsein und auch die Handlungen. Man hat ein tieferes Gefühl von Zugehörigkeit zu etwas grösserem Ganzen. Dann erfährt man sich nicht abgekapselt, weil man nicht mehr im Kopf lebt, sondern unmittelbar im Moment. Ich hatte den Eindruck, dass dies die Nachhaltigkeit herbeiführt, von der er gesprochen hat. Ich fragte nach, ob er das in diese Richtung meine…?
Ja, ja, das stimmt. Das ist ebenfalls ein Aspekt von Erfolg, diese Präsenz und Unmittelbarkeit. Das äussert sich auch daran, dass man sich in seinen selbst wahrgenommenen Neigungen – Stärken, Schwächen und Talenten – verwirklichen kann und das leben kann. Dass man seine bestimmte Konstellation an Fähigkeiten, Neigungen und Talenten leben kann – sein Potenzial letztendlich.
Sein Potential voll zu leben ist tief erfüllend. Vorher hatte ich das Gefühl, ich habe 100% Potential und in dem, was ich tat, brachte ich vielleicht 20% dieses Potential tatsächlich zur Geltung. Wie ein Motor, der läuft, aber weil er auf Sand liegt, durchdreht – totaler Energieverlust. Jetzt hab ich das Gefühl, ich habe es geschafft, diese verschiedenen Talente zu leben und das ist unheimlich befriedigend. Das ist auch ein Aspekt von Erfolg: Frieden finden in dem, was man macht.
Und das in der Gegenwart – nicht morgen oder in 3 Jahren mache ich dann das oder das, weil ich das ja auch gut kann…. Nein, das mache ich jetzt schon. Mit seinem ganzen Potenzial tätig, auch das ist eine Form von erfolgreich sein; weil’s erfüllender ist. Man ruht viel mehr in sich, ist gelassener und entspannter; man lebt besser…
Das schien mir für ihn eine „radikale“ Neudefinition von Erfolg. Ich hatte eingangs im Gespräch erwähnt, dass in seinem Buch durchscheine, dass die Charakterstruktur, die Eigenart, das eigene So-Seins, erhalten blieb. Aber dass die Inhalte – oder eben grundlegender, die Werte und mit denen dann die Inhalte – sich ja bei dir drastisch verändert hätten. Eine Form von Kehrtwende – wie Saulus, der zu Paulus wurde. Ich wollte genauer wissen, was der Auslöser war. Darüber im Beitrag 4.
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