Kehrtwende am Dead End
Im Leben von Rudi Wötzel geschah eine 180 Grad Kehrtwende. Kann ein Mensch sich so drastisch „ändern“? Oder ist es etwas, das er gehabt, verloren und dann wieder gewonnen hat? Oder ist es in diesem halben Jahr gewachsen? Was war der Treiber oder die Kraft, die diese Umkehr der Wertigkeit und dann der Lebensgestaltung gebracht hat? Und vor allem: Was war der Auslöser?
Rudolf Wötzel musste nicht lange nachdenken, um diese Frage zu beantworten – sie kam prompt: Das ist einfach zu beantworten. Es gibt einen Auslöser: Eine Lebenskrise, ganz klar!
Das war der Grund, dass ich rausgegangen bin. Das äusserte sich in verschiedenen Facetten, vor allem gesundheitlich. Ich war permanent krank.
Ich wollte wissen, ob er in einem Burnout war.
Heute weiss ich, dass es ein Burnout war. Die typischen Symptome: Panikattacken, Bandscheibenvorfälle, Immunschwäche, dauernd Antibiotika – solche Sachen – das ist das eine.
Das andere war mindestens genauso wichtig. Das war der Verlust von Körpergefühl – also dass ich mich nicht mehr spürte – dass ich effektiv die Empfindungsfähigkeit im Körper verloren hatte oder sie irgendwie verzerrt war. Wenn ich mich vor 10 Jahren hier so in die Sonne gesetzt hätte, hätte ich die Sonne als unangenehm empfunden, weil ich irgendwie zu schwitzen angefangen hätte – oder das Rauschen des Baches hätte mich irritiert, weil es ich es als Lärm empfunden hätte. Ich hätte mich gefühlt wie hinter einer Milchglasscheibe – abgekoppelt von ureigenen Empfindungen. Also das permanente Gefühl, dass ich mich – auf Deutsch gesagt – einfach nur Scheisse fühlte ohne richtig krank zu sein, aber mit diesem durch und durch unangenehmen Körpergefühl. Permanente innere Rastlosigkeit. Auch keine Genussfähigkeit mehr. Man schmeckt kaum mehr was – alles schmeckt fad… Ich kenne Leute, die haben in solchen Situationen ihren Geschmackssinn komplett verloren.
Dann das Dritte ist natürlich der ganze Bereich der psychischen Befindlichkeit – depressive Momente, eine Sinnlosigkeit. Leere… Leere, Sinnlosigkeit – vermutlich, weil die Anreizmechanismen, auf die ich jahrelang gut angesprungen bin, sich abgestumpft hatten. Da könnten einen Millionenbonus zahlen und das bewegt einen nicht besonders; ist ja schön und gut, aber so what? Materielle Anreize sind Drogen: Du musst die Dosis ständig erhöhen, und dennoch nimmt die Wirkung ab und ist von immer kürzerer Dauer.
Und auch das deutliche Gefühl, dass da eine innerliche Verarmung stattfindet. Die Unfähigkeit, in meinem Fall, dauerhafte Beziehungen oder geschweige dann Familie aufzubauen. Plus: das Gefühl erstmalig, dass letztendlich meine Lebenszeit eine beschränkte Zeit ist. Das ignorierte ich vorher komplett, völlig – wie alle um mich herum übrigens. Das macht den kollektiven Selbstbetrug einfacher, ändert aber nichts an den fundamentalen Fehleinschätzungen.
Alles, was er beschreibt, ist symptomatisch für einen Burnout; so diffus dieses Krankheitsbild ist und so individuell sind es doch diese 3 von ihm genannten Bereiche, die im Zusammenspiel meist „Endstation“ bedeuten.
In meinen Ressourcen-Management Trainings zeige ich die neurophysiologischen Grundlagen der Stressregulierung auf – und schule die praktischen Skills, die es braucht, gesund leisten zu können.
In Rudi Wötzel kommt ein tieferer Aspekt hervor – das Gefühl des Abgetrennt sein von sich selbst, das Sich-Abschneiden vom Selbst – und das Selbst ist ja das Leben – und das Leben ist wieder das Ganze – deshalb die Isolation – und die Öde in dieser Isolation… Ich fragte nach, und meinte, dass dies ein grässlicher Zustand sein müsse…
Ja, das war der Auslöser. Aber ich glaube, der Auslöser alleine hätte nicht genügt. Das ist ja ein Zustand, den viele haben. Ich behaupte inzwischen, dass Mehrzahl von Führungskräfte und Manager drin stecken. Aber der Auslöser muss leider dummerweise noch überhaupt nichts bewirken, weil es unterschiedliche Art und Weisen gibt, damit umzugehen. Und eine ist, sich immer tiefer reinzugraben in dieses System, weil man sich natürlich auch in zunehmendem Masse quasi abhängig gemacht hat von diesen Anerkennungsmechanismen; das sind ja sehr subtile Prozesse.
Und das Tragische ist , je mehr man die Kompetenz – die Erfolgskompetenz – nach aussen verlagert, d.h. die “Sich-Wohlfühl-Autorität” nicht mehr in sich drinnen hat, sondern aufgrund dieser Genese in fremde Hände legt – die Gesellschaft, den Club, die Kollegen, den Chef – wird es immer schwieriger, sich dem zu entziehen, man wird wie ein Junkie. Es entsteht echt eine emotional-geistige Abhängigkeit von Erfolg, von dieser Art von Erfolg. Dann da raus zu gehen, bedeutet ja zunächst mal, sich völlig nackig da hinstellen und sich freiwillig diesen Erfolgs zu berauben. Wie wenn man auf Entzug geht, denke ich.
Was extrem hilft – das soll jetzt nicht esoterisch klingen – in dieses Bewusstsein reinzukommen. Ich habe mir solche Gedanken wie jetzt früher eigentlich nie gemacht – aber da muss man irgendwie reinkommen. Da hat mir in der Tat dieses halbe Jahr Alpen-Überquerung geholfen, weil es mir ganz elementare, andersartige kleine Erfolgserlebnisse vermittelt: Das Ding zu schaffen, die täglichen Etappen zu schaffen, an den Bergtouren zu wachsen, körperlich wieder zu genesen, das sind alles Erfolge gewesen.
Obwohl er am Anfang seinen Erfolgskurs in einem gewissen Sinn weitergefahren ist, haben ihn die Umstände, das Umfeld umgekrempelt – und sicher auch über Zeit und das Alleinsein und das in der Natursein.
Ich wollte dem nachgehen weil ich weiss, wie prägend ein Kollektiv sein kann. Und mit seinem „Ausbruch“ hat er sich ja aus einem Kollektivmind herausgenommen. Ich wollte wissen, ob das das nötig war, um wieder frei zu denken zu können?
Es hat mehrere Aspekte.
Einmal sind diese Beharrungskräfte extrem stark, weil man sich ganz stark an ein ganz spezifisches Kollektiv gebunden hat. Manche Firmen setzen das ja bewusst ein – die McKinseys dieser Welt – dass dann brutalste, wie sektenmässig eine enorm starkes Kollektivbewusstsein entsteht: Du als Einzelner bist nichts, aber im Verbund als Mitglied dieser Gruppe, dieser Firmenorganisation, bist du der King oder sind wir die Kings. Fast wie ein Herdenbewusstsein, in dem man nicht mehr als Individuum denkt…
Was damit stattfindet – und das geschieht auch sehr subtil – ist eine totale Gleichschaltung von Sprache, Haltung. Wenn da mal reinschaut, da entwickeln sich richtige Sprachen: Die Art sich zu kleiden, wo man hingeht, wo man Urlaub macht, wo man seinen Partner rekrutiert, wo man seine Kinder zur Schule hinschickt – all diese Dinge sind sehr stark standardisiert innerhalb der Elite. Man kommt gar nicht auf andere Gedanken.
Solange das gut läuft, ist diese Art von Elite, in der man sich bewegt, gleichbedeutend mit der Realität. Da gibt es einfach keinen anderen Einfluss; vielleicht mal einen Taxifahrer, aber… es ist eine sehr starke Einengung. Je weiter man da reinwächst, desto mehr engt sich das ein. Und ist man nur noch inmitten von Leuten, die sich genauso definieren wie man selber.
Und dann ist in dieser Elite ein riesiges Theater, was sich gegenseitig vorgespielt wird: Das ist perfekt, das ist das Grösste…Ich dachte immer, ich sei der Exot mit meinen Themen, die das so hochkommen, aber jetzt weiss ich, wenn ich mit den Leuten spreche, weil sie sich öffnen… die reden jetzt mit mir.
Jetzt merke ich, das ist eine perfekte Theaterveranstaltung, wo sich alle gegenseitig auf die Schulter klopfen und sagen, dass es absolut toll sei und das Richtigste, was sie tun – aber innen ist alles hohl, bei einem grossen Teil.
Also insofern ist es wichtig, aus diesem sozialen Umfeld rauszugehen und da mal sich wieder als Individuum zu fühlen.
Wenn man hier im Gemsli einen ganzen Tag sitzt und rumschaut, hat man eine ganz andere innere Verfassung als wenn man sich am im Paradeplatz 5 Stunden hinsetzest – so was wirkt extrem. Und das geschieht über Jahre lang. Drum bin ich ja auch in ein Umfeld gegangen, das mich anders prägt – es gibt ja nichts Reineres als die Berge. Das bewirkt enorm viel, dass sich viele Dinge enorm relativieren. Man wird “durchgerüttelt” und dieses Aufmischen braucht es, damit man sich neu sortieren kann. Das ermöglicht, das Bewusstseins zu ändern, die eigene Einstellung zu verändern und auch im Leben danach handelt. Tut man das, wird man nicht als Paria bespuckt – im Gegenteil, man spricht all denen, die darin gefangen sind, aus der Seele.
Und darin sieht Rudi Wötzel eine neue Aufgabe – zu inspirieren und diese grundsätzlichen Themen anzusprechen.
Es ist wichtig, dass eine Führungskraft erkennt, dass es nicht nur um Effizienzsteigerung geht, sondern um eine neue Dimension, in die er reinkommt in seinem Bewusstsein – quasi um “wahren Erfolg” zu erlangen und zufriedener und gelassener zu leben letztendlich.
Ich denke, er kannst Die Leute dort holen – weil er genau weiss, wo sie stehen – und dass sie das eigentlich wollen. Er hat ja in zwei Welten Spitzenleistung erbracht. Was ist für ihn heute Spitzenleistung? Wie definiert er das und was macht eine Leistung „Spitze“ – das im Beitrag 5.
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