Wenn Zuhören Gold ist, wird Reden zu Silber
Zuhören also solches wird wenig thematisiert. Reden hingegen hat einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft: Sich ausdrücken können – etwas verständlich erklären können – sich durchsetzen und seine Meinung sagen. Schöne Worte üben einen Zauber aus, und die richtigen Worte zu finden in einer bestimmten Situation ist oft „Gold wert“. Aber alles Reden bringt wenig, wenn niemand zuhört.
Wenn in der Wirtschaft alle Stunden zusammengerechnet würden, die in Sitzungen und Gesprächen verbracht werden, wäre dies eine enorme Zahl. Würde man die Stunden aufaddieren, in denen Menschen nicht präsent sind beim Zuhören, wäre dies eine bedenkliche Anzahl. Wenn alle Fehler und Konsequenzen, die entstehen, weil Menschen nicht zuhören, in Zeit und harter Währung zusammengerechnet würden, wäre dies eine besorgniserregende Zahl…..und mit einem Schlag wäre die „Kunst guten Zuhörens“ ein wichtiges Thema.
Aber gutes Zuhören ist nicht nur im Berufsleben wichtig. Auch im Privatleben – im Zwischenmenschlichen – in Freundschaften, in Beziehungen, in der Familie mit Kindern, ist einander Zuhören viel wichtiger als man oft meint. Vor allem ist es wichtig, dass man mit dem „richtigen Ohr“ zuhören kann.
Im Geschäftsalltag hört man meist mit dem „sachlichen Ohr“ zu und nimmt dabei präzise Data und Informationen auf. Wenn man jedoch am Abend nach Hause kommt und die Partnerin vom Tagesverlauf mit den Kindern erzählt ist eine andere Art Zuhören gefragt als in den Mitarbeiterrapports im Geschäft… Und wenn die Kindern etwas erzählen muss man sich auf ihre Welt einlassen können, die wieder eine ganz andere ist… Spricht man mit einem Freund, der sich vielleicht gerade in einer schwierigen Situation befindet und darüber reden will, muss man in der Lage sein, Empathie ins Zuhören zu legen… Im Zwischenmenschlichen geht es oft nicht nur darum, einen Inhalt aufzunehmen und zu verstehen, sondern – genauso wichtig – den anderen Menschen in sich aufzunehmen; in Kontakt zu gehen und zu bleiben.
Es gibt etwas ganz Grundsätzliches, was gute Zuhörer ausmacht: Sie sind fühlbar präsent. Sie sind nicht mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, sondern mit ihrem ganzen Wesen anwesend und innerlich frei, die Inhalte und den anderen aufzunehmen.
Das ist wohl das Grundlegendste, das gutes Zuhören ausmacht. Und ist das nicht oft auch das Schwierigste? Vor allem wenn man selber mit etwas beschäftigt ist oder lieber etwas anderes machen würde; oder wenn man angespannt oder müde ist; oder wenn es einem eigentlich nicht interessiert; oder wenn der Redner langfädig, unklar, mühsam redet…
Zuhören hängt stark vom unmittelbaren gehirnphysiologischen Zustand ab. Viel Unruhe und „Lärm“ im Kopf – das heisst, viele unwillkürliche Gedanken – zieht die Aufmerksamkeit vom gegenwärtigen Geschehen weg. Man ist “abwesend” und nimmt nicht – oder nur bruchstückhaft – auf, was im Moment gesagt wird.
Gute Zuhörer können Ihre Präsenz halten, auch unter Druck und „im Stress“. Gespräche mit solchen Menschen regen zu kreativem (Mit)Denken an und schaffen Raum für Einsichten und neue Ideen. In ihrer Gegenwart fällt einem das Denken und Reden leicht. Im Zwischenmenschlichen sind sie aufmerksam, interessiert, einfühlsam und lassen andere ausreden. Das empfindet man als angenehm – ja wohltuend!
Gutes Zuhören ist keine besondere Gabe, sondern erlernbar. Der Schlüssel dazu ist der Alpha Zustand. Diese ungeteilte Präsenz, das ist wie die „freie Leinwand“, auf welcher eine Botschaft klar und ohne „Störungen“ aufgenommen werden kann.
Den höchsten Grad an Präsenz erlangt man, wenn alle innerlich ablaufenden mentalen Prozesse zur Ruhe kommen. Das Schon-Drandenken was man als nächstes sagen will, die inneren Kommentare, etc. sind störend und limitieren Aufnahme und Verständnis. Für gutes Zuhören muss der Kopf offen und frei sein – leer wie eine weisse Leinwand. Das konnten Sie bis jetzt sicher als eine der Schlüssel-Qualitäten des Alpha Zustands erfahren. Er bringt Ruhe in den Kopf, erhöht die Wahrnehmung und verbessert die Aufnahmefähigkeit.
Doch nicht nur das: Werden sämtliche unbewusst ablaufenden Prozesse hinzugenommen, ist Zuhören – respektive das, was man durch Zuhören „versteht“ – ein vielschichtiger innerer Prozess.
Gehirnphysiologisch gesehen ist Zuhören das Aufnehmen auditiver Signale und die sprachliche Entschlüsselung des Inhaltes. Die Sinnesreize – also die Töne und Worte – enthalten keine primäre Information. Sie werden beim Hören – und auch beim Sehen – in elementare neuronale Zustände umgewandelt. Auf vielen Ebenen des Gehirns werden diese miteinander abgeglichen und mit sämtlichem bestehenden Vorwissen und Erfahrungen, auch emotionalen, kombiniert und verarbeitet. Zuhören ist kein eins-zu-eins Abgleichen mit dem gesprochenen Inhalt, sondern durch subjektive Prägungen, den momentanen Zustand und Reaktionen auf das Gesagte gefärbt. Die Bedeutungszuweisung, was wir „verstehen“ nennen, ist nur das Endprodukt dieses unterschwellig laufenden assoziativen Prozesses.
Den höchsten Grad an Objektivität erlangt man, wenn diese innerlich ablaufenden Prozesse zur Ruhe bringen kann.
Und hier kommt ein weiterer Plus-Punkt der Alpha Praxis: Der Alpha Zustand bringt Ruhe ins Bewusste und ins Unbewusste und schafft jene Meta-Ebene, von welcher aus die innerlich ablaufenden Prozesse wahrgenommen werden können. Damit sind die nötigen Voraussetzungen für wertfreies, objektives Zuhören geschaffen durch die klare auditive Informationsaufnahme möglich wird.
Ein weiterer Gewinn in der Nutzung des Alpha Zustandes beim Zuhören ist die entspannende Wirkung auf den Körper. Das ist für einen intensiven Arbeitsalltag von grosser Wichtigkeit. Jedes Mal, wenn man den Alpha Zustand aktiviert, kommt der Parasympathikus in Aktion und reguliert das System in Richtung Homöostase . Damit wird jeder dieser Zuhörmomente eine willkommene “Pause” für den Körper – und eine Möglichkeit, Energie aufzubauen.
Anleitung
Beim Zuhören gilt es, den Alpha Zustand auch über lange Zeit aufrechterhalten zu können. Dazu werden Sie lernen, Ihre innere Aufmerksamkeit auf der Höhe der Schultern zu orientieren und dort „den Faden halten“.
Warum auf der Höhe der Schultern? Die Schultern liegen zwischen Kopf und Rumpf. Das Mentale ist im Kopf angesiedelt. Das Assoziativ-Intuitive im Rumpf – der Volksmund spricht ja vom „Bauchgehirn“. Wenn Sie Ihre Orientierung auf der Höhe der Schultern halten, sind Kopf- und Bauchgehirn gleichermassen beteiligt. Sie hören, was gesagt wird und, wenn nötig, “hören” Sie auch, was nicht gesagt wird – das heisst, Sie nehmen auch Metaprozesse leichter wahr.
Vorbereitung
Vorab eine kurze Wahrnehmungsübung. Schliessen Sie dazu, wenn möglich, die Augen.
Nehmen Sie Ihre innere Aufmerksamkeit auf Ihren linken Fuss. Spüren Sie, wie er auf dem Boden steht – der Kontakt zum Boden, wie sich der Fuss anfühlt.
Dann nehmen Sie Ihre innere Aufmerksamkeit auf die grosse Zehe des linken Fusses. Sie ist das äusserste Ende des linken Fusses.
Gehen Sie wieder zurück zum Fuss.
Dann nehmen Ihr gesamtes linkes Bein wahr – als ein ganzes Stück, von der grossen Zehe bis dahin, wo das Bein an der Hüfte in den Rumpf übergeht.
Konnten Sie nachvollziehen, dass Sie im Körper punktuell oder flächig wahrnehmen können? Bewusstsein durchdringt den ganzen Körper – deshalb kann man sich empfindungsmässig mit einem Teil oder dem ganzen Körper verbinden.
Bei der Alpha Technik fürs Zuhören orientieren Sie Ihre innere Aufmerksamkeit flächig über die ganze Breite der Schultern. Tun Sie dies mit einer Vorstellung von Leichtigkeit. Kein Gewicht – nichts das drückt. Es soll sich anfühlen wie ein Luftkissen oder freier Raum zwischen den Achseln.
Technik
Die Technik geht über den Alpha Punkt. Idealerweise ist dies der Orientierungspunkt, den Sie zum Lesen brauchen. Wenn Sie den nicht gelernt haben, gehen Sie über den Punkt am Ende der Mittelachse.
Nehmen Sie im Einatmen Ihre innere Aufmerksamkeit, mit offenen Augen, auf den Alpha Punkt. Bleiben Sie 2-3 Atemzüge dort, und nehmen Sie wahr, wie sich der Mind sofort entschleunigt und der Körper loslässt.
Dann lassen Sie, im Ausatmen, die innere Aufmerksamkeit auf die Schultern absinken – flächig, breit, mit einem angenehmen Gefühl von Leichtigkeit. Die Augen sind offen.
Bleiben Sie für die nächsten 3-4 Atemzüge mit Ihrer Aufmerksamkeit auf der Höhe der Schultern.
Nehmen Sie den Zustand wahr. Wie fühlt er sich an?
Wie ist Ihr Mind? Haben Sie viele, wenig oder keine Gedanken?
Wie geht es dem Körper? Wie läuft der Atem?
Hören Sie auf Geräusche in Ihrer Umgebung, während dem Sie die Orientierung auf der Höhe Schultern orientiert halten.
Dies ist die Einstellung für das Zuhören. Es sollte ein angenehmer Zustand sein – der Mind ruhig, wenig oder keine Gedanken, der Körper entspannt, der Atem tief und ruhig. Eine wache, klare Präsenz.
Konnten Sie dies nachvollziehen? Dann wenden Sie die Kurzform der Technik beim Zuhören an. Wenn Sie dies nicht so erfahren haben, wiederholen Sie die Übung nochmals, und geben Sie sich etwas mehr Zeit.
Koppeln Sie auch diese Technik an einen Atemzug.
Kurzform
Einatmen – innere Aufmerksamkeit an den Alpha Punk
Ausatmen – leicht und breit auf die Schultern und dort verbunden bleiben.
Sie nutzen die Technik, um Ihre Präsenz zu erhöhen, nicht in Gedanken abzuschweifen und Ihre Aufmerksamkeit im Geschehen zu halten. Das heisst, sie wollen verhindern, dass der Hamster das Rad des unwillkürlichen Denkens antreibt. Dazu reicht es, wenn Sie ihn am Schwänzchen halten.
Halten sie nicht mehr als 5 bis 10 % Ihrer inneren Aufmerksamkeit auf Schulterhöhe – empfinden Sie dabei den körperlich entspannten, präsenten Zustand – der Rest geht zum Gegenüber oder ins Geschehen.
Würden Sie 100 % Ihrer inneren Aufmerksamkeit bei Ihren Schulten belassen, könnte das einen Eindruck von “in-sich-gekehrt-Sein” erwecken – das wäre unnatürlich und könnte irritierend wirken, vor allem im Arbeitsalltag.
Wenn Sie in allen Zuhörmomenten – längeren und kurzen – bewusst in den Alpha Zustand gehen, verbessert sich nicht nur die Aufnahmequalität und Ihr Erinnerungsvermögen, sondern der Körper nutzt diese Zeiten für die Regeneration. Probieren Sie es aus – der Energielevel am Abend wird Ihnen zeigen, dass es funktioniert.
Anwendungsbeispiel
Als Beispiel guten, differenzierten Zuhörens möchte ich einen Auszug aus dem Gespräch mit Thomas Imboden anführen, welcher den erhöhten Warhnehmungsmodus des Alpha Zustandes beim Zuhören wunderbar illustriert. Er verbindet in seiner Arbeit Künstler verschiedenster Bereiche und kulturell-ethnischer Hintergründe und schafft es immer wieder, „Welten zusammenzubringen“ zu einem einzigen wunderbaren Kunstwerk. Dazu verbringt er Stunden und Tage in Sitzungen und Gesprächen mit beteiligten Menschen und hat seinen „Sensor“ offen für die verbindenden Elemente. Der Alpha Zustand – bewusstes Dasein – ist der „Raum“, aus dem er wirkt, und der integrierende Faktor.
„Das sind Momente, in denen ich einfach „da“ bin – wie ein Ruhepol, um den herum alles passiert. Wenn ich in Sitzungen bin, in denen jeder redet, nehme ich mich raus, zieh mich quasi in mich zurück und höre nur zu. Ich registriere die verschiedenen Ebenen: Man diskutiert ein Sachthema, aber gleichzeitig laufen noch viele persönliche Dinge ab – „the games people play“. Das kann ich in diesem Zustand klar wahrnehmen und einordnen: Geht es jetzt darum, dass jemand in einem fiktiven Kampf gewinnt? Oder bringt jemand einen wertvollen Input, der zu einer Lösung führen kann? Wenn ich mich rausnehme, höre ich die Argumente und gleichzeitig sehe ich, in welchen emotionalen und psychischen Konstellationen diese Argumente ausgetauscht werden. So kann ich mir ein Bild machen, weil ich in dieser inneren Ruhe an der Basis des Geschehens verbunden bin.“
Als ich bemerkte, das klinge für mich „passiv“, verneinte er vehement und sagte:
Innere Ruhe hat verschiedene Intensitäten. Diese Art innerer Ruhe ist eine körperdurchdringende, in sich hoch aktive Ruhe. Das klingt zwar paradox, aber in dieser Ruhe in sich ist unausgeführte Aktivität – da muss man nichts tun und hat alles…
Er beschreibt diese Ruhe als vibrierendes Feld. Ich wollte wissen, wie er sich aus dieser Art des Zuhörens wieder ins Geschehen bringt:
„Das steure ich nicht. Es ist ein innerer Impuls. Aber nicht ein Gedanke, der sagt „jetzt musst Du Dich wieder einklinken weil die anderen alle viel geredet haben….“. Wenn dieser Impuls kommt, weiss ich: Jetzt ist der Moment – und bringe mich ein. Das ist eine Bewegung, die von innen aus dieser Ruhe kommt. Meine Argumente oder Beiträge kommen ebenfalls aus dieser Seins Ebene – aus dem Erfassen der ganzen Situation.“
Das ist eine schöne Beschreibung wie das dem Bewusstsein innewohnende Wissen – oder die kreative Intelligenz – auf ein Ziel bezogen in Aktion tritt. Man muss sich auch keine Sorgen machen, dass man keine Antworten bereithat, wenn man sie nicht im Kopf „vorfabriziert“. Gedankenprozesse auf der Theta Ebene sind unvergleichlich viel schneller als jede Form von explizitem Denken im Beta Mind. Man kann sicher sein, dass sie sich in dem Moment generieren, in dem man sie braucht.
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