Vom Topmanager zum Alpendurchquerer
Im September war ich als Ausstellerin am ersten Womensweekend auf der Lenzerheide.
120 Frauen, ein tolles sportliches Angebot, interessante Beiträge und das Schlussreferat – von einem Mann… Als erste Reaktion wunderte ich mich darüber und dachte: Was hat denn ein Mann 120 Frauen zu sagen…?
Und er hatte wirklich etwas zu sagen, Rudolf Wötzel! Es war ein spannendes Referat – über einen Umstieg vom Investment-Top-Banker zum Berggasthaus-Wirt. Ungewöhnlich. Er trat authentisch auf – ein Mann, der etwas aus seinem Leben teilte.
Er erzählte seine Geschichte. Wie er in seiner letzten Station als Deutschlandchef der Sektion Mergers & Acquisitions bei der globalen Investmentbank Lehman Brothers mehr und mehr in eine Sinnkrise kam. Wie es leer wurde in ihm – wie sein Körper erkrankte und er eines Tages im 2007, auf der Höhe seiner Karriere, aus freien Stücken seinen Hut nahm.
Diesen vertauschte er mit der Kapuze eines Anoraks – mit Wanderschuhen, einem Rucksack und allen nötigen Wanderkarten, um von Salzburg über die höchsten Punkte nach Nizza zu laufen. Ans Meer…
Eine ver-rückte Idee – ein riesiges Unterfangen für einen untrainierten, verweichlichten und verwöhnten Banker, der sich gewohnt war, alles subito auf dem Silbertablett serviert zu bekommen.
Er erzählte, wie er – Manager-like – fast jeden Meter im Voraus geplant hatte. Alle Hütten aufgeschrieben, mit Telefon und die Route minutiös geplant… um dann auf dem Weg zu erfahren, dass es keinen besseren Führer als das Leben selber gibt. Und dass das Leben „ans Steuer“ geht, wenn wir bereit sind loszulassen und auf den „Beifahrersitz“ umzusteigen.
Er erzählte von den Strapazen – von Blasen und nagenden Gedanken an Umkehr am Anfang. Und vom beglückenden Gefühl, als der Köper vom vielen Gehen gesundete, kraftvoll wurde und ein tiefes inneres Glücksgefühl in dieser überwältigend schönen Natur erwachte.
Zurück in der „Zivilisation“ schrieb er seine Erfahrungen, seinen ganz persönlichen Weg zu sich selbst auf und es wurde veröffentlicht in dem Buch „Über die Berge zu mir selbst“.
Mein persönlicher Kontakt zu Rudi Wötzel entstand nach dem Event – bei einem Kaffee in der Lobby. Es war von Anfang an ein „Wiedererkennen“ von Interesse am Gleichen. Wir vereinbarten einen „Büchertausch“ und ich hab seins an drei gemütlichen Abenden mit viel Freude an den wunderbaren Beschreibungen der Natur gelesen. Ich war erstaunt über die differenzierte Sprache, das Feingefühl, die facettenreichen Beschreibungen von Menschen und Umgebung.
Ich wollte diesen Menschen näher kennen lernen. Ich wollte wissen, was ihn antrieb, was ihm geholfen hat die Strapazen zu ertragen, wie er auf seiner Reise „Flow“ erlebte und – warum es dreiunddreissig 4000er sein mussten?…
Ich fragte ihn an für eine Befragung – er sagte zu – und so reiste ich an einem wunderbaren Herbsttag nach Klosters und besuchte ihn auf dem Gemsli. Und es war ein spannender, höchst interessanter Nachmittag!
Das Einstiegsthema ist ja immer „Flow“. Als ich sein Buch gelesen hatte, kam es mir vor, wie wenn er in den 6 Monaten mehr und mehr in einen Fluss gekommen sei, in ein Bewusstsein, in dem er wieder offen wurde, damit das Leben in seinem Wesen sich wieder ausdrücken konnte. In dem Bewusstsein wieder das Ruder übernehmen konnte und nicht die Egostruktur, die ausschliesslich aus dem Denken heraus funktioniert.
Wir Menschen sind ja fast immer, im unwillkürlichen Denken gefangen. Dieses Momentum des Mind ist wie ein Propeller in der Türe: Um aus diesem begrenzten Denkraum herauszukommen, muss dieses Momentum entschleunigt werden. Solange der Propeller dreht, kann man nicht durch. Aber wenn das unwillkürliche Denken zur Ruhe kommt, dann machen Leute die Erfahrung und erfahren sich als Bewusstsein – sie stolpern sinnbildlich in diesen Raum von Bewusstsein als solchem und DAS transformiert. Als ich diese Gedanken anführte sagte Rudi Wötzel:
Ich bin da quasi durch Zufall da reingestolpert, sozusagen…
Ich meinte, dass er dafür hart gearbeitet habe – 33 Viertausender sind ja kein Pappenstiel… Aber das hat wohl in ihm den Freiraum geschaffen und er ist in diesen Fluss reingekommen.
Ich stellte also vorab meine „Standardfragen“ zum Thema Flow und wollte wissen, wenn er jetzt zurückdenkt – oder vielleicht auch jetzt in seinem Leben – ob er diese Momente, in denen er ganz in einen Fluss kommt, beschreiben könne? Wie ist dann der Mind, der Denkraum, der Bewusstseinsraum?
Also erstmals glaube ich ist es ein ganzheitlicher Zustand, der auch gewisse körperliche Aspekte umfasst. Der Körper ist mit einbezogen.
Wie ist dann der Körper?
Eigentlich der Gegenzustand von dem, was ich im Burnout erlebt habe: Die Sinne sind alle da, hellwach und auf Empfang, aber in keiner Weise gereizt, sondern einfach auf Empfang – und da ist ein innerer Friede, “Peace of Mind” irgendwie…
Ich wollte wissen wie der Mind ist – ob er viel oder wenig von dem „Mühlen der unwillkürlichen Gedanken“ hatte?
Es ist kein Mühlen – keine Kreiselgedanken, keine Endloszirkel – da ist man nicht drin. Die gibt es weiterhin, aber die erlebe ich jetzt anders, nämlich so: “Schauen wir uns das Karussell mal an…”, also ich erleb mich irgendwie draussen.
Damit drückt er aus, dass Gedanken da sein können, er aber nicht in der Identifikation damit ist. Man könnte auch sagen, dass er sich nicht unbeschaut glaubt, was er denkt.
Ja, das ist wie Kino: Ich gehe jetzt ins Kino und schaue mir meinen Gedankenkreis an. Damit ist die Schärfe weg…
Es ist interessant, wie er das beschreibst: Seine Identifikation ist mehr bei sich als Bewusstsein und weniger als „ich was ich denke“. Wenn er im Bewusstsein ist, kann er das Kreisen der Gedanken beobachten. Wenn man keinen Bezug hat zu dieser Bewusstseinsebene, ist man immer in diesem Denkkreis drin – ist eigentlich immer drin gefangen. Wenn Bewusstsein aktiviert wird, kann man sehen, was läuft, wie von einer Metaebene.
Ich war am Vortrag und beim Lesen des Buches erstaunt über die Offenheit und Schonungslosigkeit, mit der er über „Herrn W“ – sich selbst im „alten Leben“ – und die „Welt der Elite-Banker“ redet und schreibt. Ich wollte wissen, wie denn seine Kollegen darauf reagierten. Ob er in der Banker-Welt nun als Nestbeschmutzer gelte?
Einer von Tausend sagt so was. Die sind dann so perfekt in ihrem Selbstbetrug, dass sie aggressiv darauf reagieren – oder vielleicht ist es auch eine Form von Neid.
Aber da sind natürlich auch die ganzen Sabotagemechanismen, um nicht selber da gleich zu tun. Zu sagen: Ja aber ich habe Familie, aber ich hab mein Haus noch nicht abbezahlt, ja aber ich hab eben nicht den Bonus, usw.… Aber es ist trotzdem eine Anerkennung der Tatsache. Ich bin total überrascht über das Ausmass der Resonanz.
Ich mache viele gute Erfahrungen. Ich habe etwas gemacht, was viele andere auch gerne machen würden. Das hat mich zur eher zu einer Projektionsfläche für diese Bedürfnisse und Wünsche gemacht. Und das ist sehr breit – diese Defizite werden innerlich von den meisten wahrgenommen… aber maximal gesteht man es sich selber ein, vielleicht…
Ich krieg eigentlich nie den Vorwurf des “Aussteigers” – ich muss mich weder erklären noch rechtfertigen. Ich bin ja auch nicht ein Aussteiger. Ich will im System bleiben. Das merken die Leute. Wenn sie mit mir reden fühlen sie sich frei zu dem zu stehen, was sie wirklich fühlen – was sie sonst in ihrem Umfeld vielleicht nicht zu äussern wagen. Es ist wie wenn einer mal gerne Bergsteigen will – dann hört er auch lieber jemandem zu, der ein faszinierter Extremkletterer ist, auch wenn er nicht Extremklettern will als einem, der auch schon mal ein bisschen wandern war. Das ist wahrscheinlich der Effekt…
Beim Lesen des Buchs hatte ich den Eindruck bekommen, dass sich auf seiner Reise zu sich selber seine Werte und sein Lebensinhalt geändert hatten – nicht aber die Charakterstruktur; das gleiche Erfolgsstreben und zielorientierte „eins-nach-dem-Andern-Abhaken“ – ein Viertausender nach dem andern…. Darauf sagte er:
Jeder Mensch hat gewisse Eigenschaften, die ihn als Person ausmachen, und – anstatt sich zu überlegen, wie kann ich mich da verbiegen – zu schauen, was mache ich Sinnvolles mit diesem Set von Eigenschaften.
Das ist genauso mit dem Erfolg. Anstatt zu sagen: Ich brauch keinen Erfolg mehr. Das ist ein Selbstbetrug. Denn Erfolg und Anerkennung sind Begriffspaare die eh zusammengehören. Anstatt zu sagen, ich verleugne mein natürliches Bedürfnis nach Anerkennung – lieber zu sagen, ich definiere meinen Erfolg so dass es für mich stimmt.
Und dies führte uns in eine interessante Diskussion zum Kernthema: Was macht Erfolg reich…? Darüber im nächsten Beitrag.
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